Geschenkidee gesucht?

Da hätte ich einen echt tollen Buchtipp.  Hier eine kleine Kostprobe aus Mama Cool. Exklusiv und nur für Euch ab jetzt bis Weihnachten jede Woche ein Kapitel. Viel Spaß beim Lesen!

1.

»Bevor du einen Typen gut findest, muss man ihn erst einmal mit aufs Klo schleifen, verhauen, mit dem Kopf ins Pissoir stecken und ihm die Klamotten zerfetzen. Dann gibt›s bei dir kein Halten mehr.« So hatte Grüneberger, mein langjähriger Kumpel und Retter in jeglicher Not, meinen Männergeschmack einmal beschrieben. Und damit hatte er ziemlich ins Schwarze getroffen. Also, was sollte das jetzt? Vor mir ging das komplette Gegenteil: ein Typ wie aus der GALA, unerträglich glatt und zum Übelwerden smart. Perfekt sitzender Anzug, 1a rasiert, gepflegt bis unter die Fußnägel. Auf den ersten Blick ohne jeglichen Makel, keine Ecken, keine Kanten. Gar nicht mein Typ!

Diesen Satz wiederholte ich wie ein Mantra, als ich durch die Frühlingssonne zur Arbeit ging. Na, wohl eher hetzte. Denn wie immer war ich viel zu spät. An diesem Tag noch später als sonst. Denn der Traum der letzten Nacht hatte mich verwirrt. Den genauen Inhalt hatte ich zwar vergessen. Aber das Gefühl war geblieben. Es fühlt sich an wie…keine Ahnung. Doch, es fühlte sich an wie verknallt. In genau den Mann, der da gerade Hand in Hand mit seiner Freundin den Hamburger Neuen Wall entlang spazierte. Mit dem gleichen Ziel wie ich: die Werbeagentur nordplan, in der ich seit einigen Monaten als Junior Texterin angestellt war.

Im Laufschritt nippte ich an meinem Balzac Coffee to go und überlegte: Kann man sich über Nacht verlieben? Oder hatte ich es vorher nur verdrängt? Immerhin war ich ja nicht gerade auf der Suche, sondern seit fünf Jahren mit Stefan zusammen. Mal mehr, mal weniger glücklich. Und immer wieder gab es andere. Und als ich Fred – das war der Mann, der da gerade vor mir ging – bei meinem Vorstellungsgespräch in der Agentur das erste Mal gesehen hatte, war etwas passiert. Nicht erklärbar, nicht beschreibbar. Und ich hatte es sofort wieder vergessen. Alles war so aufregend und neu gewesen an diesem Tag. Ich hatte mich gefühlte drei Stunden mit Gerd, dem Agenturchef unterhalten und wir waren uns sofort einig. Ich wollte den Job und er war der Meinung, ich hätte Talent. Was mich noch mehr beflügelte, denn das hatte ich bisher noch nicht so oft gesagt bekommen. Als Gerd mir im Anschluss die Agentur zeigte, kam Fred um die Ecke. „Hi, ich bin Friedrich. Aber alle nennen mich Fred. Ich mach hier den Kontakt.“ Kontakt? Hä? Ich musste wohl noch eine Menge lernen über Agenturen und ihre Geheimsprache. Aber das war mir in dem Moment egal. Ich merkte nämlich, wie ich rot wurde. Und fragte mich gleichzeitig, wieso? Der Typ vor mir trug Anzug! Damit gehörte er eindeutig nicht in die Kategorie Mann, die mich bislang interessiert hatte. Anzugträger waren genauso wenig Teil meines Studentenlebens wie ein geregelter Tagesablauf oder ein übergeordnetes Lebensziel. Für mich galt bisher: Mann im Anzug = Doppelhaushälfte, Passat Kombi, zwei Kinder und ein Golden Retriever. Oder einfach: alt Da konnte der Anzug noch so en vogue sein. Und nun stand dieser saubere Spießerheini vor mir und sorgte dafür, dass ich vergaß, warum ich überhaupt dort war.

Das war vor 5 Monaten. In der Zwischenzeit hatte ich diese erste Begegnung mit begleitender Verwirrung ehrlich gesagt schon wieder vergessen. Es waren andere aufregende Dinge passiert. Immerhin startete ich meinen ersten Job (1.). In Hamburg (2.)! In einer Werbeagentur (3.)! Ich hatte mein ewiges WG-Gewohne aufgegeben und residierte nun in einer eigenen, wunderschönen, wenn auch winzigen Altbauwohnung mit Garten in Eimsbüttel (4.) Die restliche Zeit, die mir nach dem Umzug und bis zum ersten Arbeitstag geblieben war, hatte ich mit einer Deutschlandtour gefüllt, auf der ich alle meine Freunde und Bekannte besucht hatte (5.). Darunter auch einige verflossene Liebhaber (6.-10.) und bei dem einen oder anderen wurden die abgeflauten Gefühle für die Zeit meines Besuches recycelt (7.-9.).

Aber jetzt war ich wieder hier, ging zur Arbeit und das Gefühl der ersten Begegnung mit Fred war wieder da. Wegen dieses blöden Traumes. Sowas war mir echt noch nie passiert. Hoffentlich geht das von selbst wieder weg!“, dachte ich.

Vor lauter Grübelei hatte ich gar nicht gemerkt, dass ich  bis vor die Agenturtür gelaufen war. Jetzt bloß nichts anmerken lassen. »Ey Lisa, mein Fraggelchen!« Dieser Schrei holte mich komplett in die Gegenwart zurück. Eva, meine Kollegin und eine der beiden Junior Art Directorinnen bei nordplan, stieß die Tür so heftig auf, dass es krachte. »Moiiiiiiiiiin! Boah, ich hab jetzt schon Tellerminen unter den Armen. Und es ist gerade mal neun! Die sollten mal Slipeinlagen für T-Shirts erfinden. Diese ewigen Flecken unter den Armen sind menschenverachtend!« Eva hatte eine unverwechselbare Art, ihr Ankommen in der Agentur anzukündigen. Jetzt wusste nicht nur jeder, dass sie da war. Auch ihre Laune war jedem bekannt: abgehetzt wie ich, aber nahezu unerträglich fröhlich. »Moin, Eva«, antwortete ich, dankbar über die Ablenkung. Und im Chor schrien wir beide: »Morgen!« Damit es auch alle hörten. Ein Blick in Freds Büro, aber der sah zum Glück gerade nicht auf, sondern hackte auf seinen Laptop ein. Polternd und lachend  lief ich mit Eva den Flur hinunter in unser Büro. Da saß auch schon Grit, die zweite Junior Art Directorin und dritte im Bunde des Hühnerstalls, wie ihr Büro vom Chef genannt wurde, und rauchte ihre Morgenzigarette. Vor ihr stand ein dampfender Kaffeebecher. Aber als ich meinen Latte-­To-Go Extra-Espresso-Shot mit Sojamilch in dem Becher mit dem Engel-Logo neben meinen Rechner stellte, schimpfte Grit: »Lisa, du Arsch. Entweder, du trinkst deinen Kaffee aus, bevor du hier aufläufst, oder du bringst mir einen mit. Bis gerade konnte ich mir noch einbilden, meine Automatenplörre hier wäre lecker. Aber jetzt … Bäh!« Mit verächtlicher Miene warf sie ihre aufgerauchte Kippe in die blässlich braune Brühe und schob sie von sich. »Entschuldigung!« Gespielt kleinlaut versteckte ich meinen Becher hinter dem riesigen Bildschirm, der mir den größten Teil des Blickes auf Grits Schreibtisch versperrte – und umgkehert. Ich fummelte zerklirrscht in meiner Jackentasche und zog ein verknicktes Stück Pappe hervor. »Hier, bitte schön! Für morgen früh.« Ich schob ihr meine volle Balzac Treuekarte über den Tisch. Alle Felder waren abgestempelt, was bedeutete, dass ich das nächste Mal einen Kaffee umsonst bekam. Eigentlich stand ich überhaupt nicht auf diese Rabattscheiße. Aber bei dem Kaffeekonsum und dem mickrigen Junior-Texter Gehalt, das leider fast gänzlich von der Miete meiner neuen Superwohnung gefressen wurde, machte das schon eine Menge aus. Jetzt übergab ich meine hart ersammelte Koffeineinheit Grit. Als Wiedergutmachung für die morgendliche Folter, die ich ihr durch das pures Erscheinen mit meinem wohlschmeckenden Yuppie-Kaffee zugefügt hatte.

Zzzzzzzzzong machte es. Ein bisschen Geratter, und schon erstrahlte der Hintergrund meines Macs. Als Bild hatte ich ein Foto aus meinem letzten Urlaub installiert: ein Surfer im Sonnenuntergang. Kitsch lass nach! Aber die zwei Wochen Lotterleben im Campingbus waren großartig gewesen. Rotwein, Gras und Unbeschwertheit. Das einzige, was zählte, waren die Sonne und die Welle. Aber das war vorbei. Vorbei wie die Affäre mit dem Surfer auf dem Bild. Jetzt war ich hier.

»Morning, Chicks!« Wie zur Bestätigung von Lisas Gedanken rauschte Anne in den Raum. Ihre weite Bluse, die den wachsenden Babybauch kaschieren sollte, flatterte mit den Zetteln, die sie vor sich hertrug, um die Wette. »Der liebe Kunde hat geschrieben«, flötete sie, »alle mal herhören!«

Während Anne das Briefing für die neuen Anzeigen vorlas, checkte ich noch kurz meine Mails. Nichts Aufregendes, aber es war ja auch erst Dienstag. Die Wochenendplanung startete frühestens ab Mittwoch. Und meistens gingen sie doch alle zusammen nach der Arbeit einen trinken. Der Rest ergab sich immer und meistens war es lustig. Warum also stressen?

»Das macht Lisa schon. Oder?«

»Was?« Ich blickte auf und in die erwartungsvollen Gesichter von Eva und Melli. »Na, die Headline neu! Der Kunde findet sie nicht aussagekräftig genug.«

»Ach so. Gut. Lass mal sehen.« Ich sah mir die Unterlagen an, die Anne mir hinhielt. »Okay. Ich schreib einfach ›Jetzt noch neuer‹, ›Sofort kaufen‹ und ›Allerbestes vom Besten‹ dazu.« Sofort kam Protest von  Eva: »Das ist viel zu lang! Wie soll denn das da hinpassen? Ich hab schon die kleinste Schriftgröße! Und der Zeilenumbruch sieht dann total scheiße aus, das sehe ich doch so schon.« Bei so etwas verstand Eva keinen Spaß. »War ›n Witz! Reg dich ab.«, beruhigte ich sie. Zu Anne sagte ich: »Machen wir. Wann brauchst Du das? Sofort oder sofort?«

»Noch eher«, rief sie, schon in Richtung Konfi verschwindend. Dort war vor wenigen Minuten ein wichtiges Meeting beendet worden. Meetings am Morgen bedeuteten immer, dass der Kunde mit leckeren Brötchen gefügig gemacht wurde. Und es bedeutete, dass am Ende etwas übrig bleib. Eva, Lisa und Grit stürzten hinter Anne her. Kurz vor der Tür schubste Grit Eva lachend zur Seite und überholte sie. »Du blöde Kuh!«, schimpfte die. »Jetzt kriegst Du wieder das letzte mit Krabbensalat. Oh Mann, echt!« Der Kampf um die Kundenbrötchen war jedes Mal ein erbitterter. Immerhin sparte man so das Geld für eine Sättigungsbeilage in der Mittagspause und konnte stattdessen in coolere Sachen wie Iced Vanilla Latte bei Balzac oder gar ein neues T-Shirt bei H&M investieren. Die Verlockungen lauerten an jeder Ecke. Das Büro von nordplan hatte Bestlage. In unmittelbarer Nähe zu den großartigen, aber leider auch viel zu teuren Boutiquen und Läden, deren Schaufenster voll waren mit so genannten Must- Haves. Das Schlimmste daran war, dass man sich unter den Menschen, die dort herumliefen, immer wie die ärmste Sau fühlte. Mit Abstand am schlechtesten gekleidet und ohne Aussicht auf Besserung. Diese Selbstwahrnehmung ließ sich allerdings schnell ändern. Indem man nur wenige Meter über den Rathausplatz zur Mönckebergstraße ging und sich dort unter die Leute mischte. Schon fühlte man sich stylemäßig haushoch überlegen. Vom Intellekt mal ganz zu schweigen. Obwohl: Grenzenlose Dummheit fand man natürlich auch jenseits Norddeutschlands größter Einkaufsstraße. Ich hatte da schon einiges erlebt und wusste, wie es war, sich von hochnäsigen Dumpfbacken in Designerläden ignorieren lassen zu müssen. Nach dem Motto: ‹Was will die denn hier? Kann sich doch eh nix leisten. ‹ Dass die hohlköpfigen Schaufensterpuppenimitate sich mit ihrem armseligen Verkäuferinnengehalt die angepriesenen Waren ihres Arbeitgebers ebenso wenig leisten konnten – oder nur alle paar Monate dank des Mitarbeiterrabattes auf die Ladenhüter – schien die nicht zu stören. Was mich noch mehr auf die Palme brachte. Aber was sollte man machen? Augen zu und durch. So hielt ich es eigentlich immer, wenn es darum ging, die wieder mal viel zu teure Jeans, Sonnenbrille oder Handtasche zu bezahlen. EC-Karte hinhalten, hoffen, dass alles schnell vorbei ging und die Bank nicht den Hahn zugedreht hatte. Denn das war jederzeit zu befürchten. Vor allem am Monatsende. Wie machten das eigentlich andere, die mit meinem Nettogehalt eine vierköpfige Familie nebst Reihenhaus und Zweitwagen finanzierten? Kindern kann man ja auch schlecht in der Mitte des Monats sagen: ›Du hast Hunger? Tut mir leid, Mama ist pleite. Denk an was Schönes. Nächsten Monat gibt es wieder was zu essen‹. Und dass man in seiner Reihenhaussiedlung in Norderstedt nicht auf Reste vom Kundenfrühstück hoffen konnte, war wohl auch klar. Blieb nur die Hoffnung, dass ich niemals herausfinden müssen würde, wie es sich so überleben ließ. Als Gegenmaßnahme gab es da nur: Karriere machen oder einen reichen Mann finden. Beides nicht so ganz mein Ding. Für eine Karriere in der Werbewelt brauchte man Ellenbogen und/oder ein übersteigertes Selbstbewusstsein. Und reiche Männer waren entweder unerträglich scheiße, hässlich, vergeben oder alles zusammen. Und meistens trugen sie Anzug! Womit wir wieder beim Thema wären.

»Achtung, das ist alles schlecht für die Linie!« Kauend drehten sich die vier Kolleginnen zur Tür. Von dort grinste Fred in die pausbäckige Runde. Klar, er war ja auch beim Meeting dabei gewesen und hatte sich satt gefuttert. Da konnte man jetzt blöde Sprüche machen. »Aber Ihr könnt es Euch ja alle erlauben mit Euren Hardbodies.«

»Hööööööhööö«, machten die vier im Chor. Am lautesten natürlich Anne, die mit ihren 20 zusätzlichen Kilos eher dem Modell Wal entsprach. Aber sie nahm es mit Humor und als einzigartige Gelegenheit, ungehemmt Dinge in sich hinein zuschaufeln. »Wenn schon dick, dann wenigstens mit Genuss!«, hatte sie mal gesagt. »Wenn der Fratz da ist, wird es schon anstrengend genug, da werde ich automatisch wieder dünn. Hoffentlich!«

»Wieso? Das meine ich ernst!« protestierte Fred. »Annchen, Du stehst natürlich außer Konkurrenz. Aber selbst mit dem Bauch bist Du ein echtes Gerät.«

»Fred, halt einfach die Klappe und sieh zu, dass Du mir den Kostenvoranschlag für Herrn Buchfisch auf den Tisch legst. Der wartet darauf schon seit gestern. Wenn er anruft, leite ich den direkt zu dir um und du kannst dir das Geleier von seinem super Fußballtalent-Sohnemann und die öden Versicherungsmitarbeiteranekdoten anhören. Ich geb mir das nicht mehr.« Anne ließ Fred mit seinen Anmachsprüchen immer eiskalt auflaufen. Klar, sie war ja auch raus aus dem Geschäft der Anbandelei. Seit Jahren glücklich mit ihrem Mann und jetzt das vollkommene Glück im eigenen Leib. Da brauchte man so Typen wie Fred nicht. Uns vor allem nicht seine Sprüche. Trotzdem wünschte ich mir, er würde mich zum Ziel seiner peinlichen Flirtattacken machen. Aber statt sich an dem munteren Gelaber der Kollegen zu beteiligen, kaute ich hochkonzentriert an meinem vorgezogenen Mittagessen. Darauf bedacht, weder Rucola noch Parmaschinken im Ganzen aus den zwei Brötchenhälften zu ziehen, was mir dann mit einem schlappenden Geräusch ans Kinn klatschen würde. Fred machte derweil Anstalten, die von Eva angepriesene Knackigkeit ihres Hinterns zu überprüfen. Die rannte aber schreiend aus dem Konfi und zeterte etwas von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Fred wiederum konterte, er sei nur Opfer von vier lüsternen Kolleginnen. »Oder sogar fünf«, verbesserte er mit Blick auf Anne, die ein Mädchen erwartete und alle seit Wochen mit der Namenswahl nervte. Inklusive mir. Konnte doch nicht so schwierig sein, einen Namen für sein Kind zu finden. Aber was wusste ich schon? Zurzeit war ich meilenweit davon entfernt, mir solche Gedanken machen zu müssen. Eher die Frage Stefan oder Fred. Und wenn nicht Fred – weil er ja nun eine Freundin hatte und weil ihre Verliebtheit aufgrund eines bescheuerten Traumes eingetreten war – , dann weiterhin Stefan? Oder war es das eindeutige Endlich-Schluss-Und-Aus, wenn man sich schon im Schlaf in andere verknallte? Von den ganzen Affären der letzten Monate (es waren drei, eine davon noch gar nicht wirklich beendet) ganz zu schweigen. Die Antwort lag auf der Hand. Aber wie immer hatte ich auch jetzt keine große Lust, mir das einzugestehen. Irgendwie war die Beziehung ja auch ganz bequem. Stefan wohnte nicht in Hamburg, also konnte er mir nicht so leicht auf die Nerven gehen. Andererseits war immer jemand da – emotional gesehen. Und so eine Trennung ist ja immer so anstrengend! Die Gefühle kochen hoch, es wird geheult (aus echter Traurigkeit oder aus Reflex), die Eigentumsverhältnisse mussten geklärt werden  … Puh! Weg mit dem Gedanken. Ich ging zurück an meinen Platz und machte mich ans Headline schreiben. »Wie weit biste, Fraggle?«, Eva hatte wieder ihre unverzichtbare hellblaue Shiseido Puderdose in der Hand und korrigierte ihr Make-up. Das machte sie so ungefähr 100 Mal am Tag. »Keine Hektik. Wenn du noch nicht fertig bist, gehe ich jetzt erst mal Mittag machen. Der Typ von letztem Donnerstag hat gemailt. Er ist in der Nähe. Und ich bin neugierig, ob der wirklich so gut aussieht, oder ob ich mir den nur schön getrunken habe. Willste nicht mitkommen?«

»Als Anstandswauwau, oder was? Ne, danke. Wie peinlich ist das denn? Der ist scharf auf dich und du bringst deine kleine, hässliche Freundin mit. Muss nicht sein.«

»Oh, der Fraggle hat ne Krise. Na gut. Soll ich dir was mitbringen?«

»Ja, Zigaretten. Und Kaugummis. Danke.« Grit machte sich auch auf zu ihrer Mittagsverabredung. Ich war froh, endlich mal allein zu sein. Zum einen war es wirklich schwer, sich mit zwei dauerquatschenden, dauertelefonierenden und dauerrauchenden Kolleginnen in einem Raum auf die Arbeit zu konzentrieren. Zum anderen hatte Eva Recht, ich hatte wirklich eine Krise. Im Vergleich zu Freds Freundin war ich nun wirklich kein Glanz. Die hatte immer den neuesten Fummel an, eine perfekt frisierte lange Goldmähne und riesengroße Rehaugen, die sie noch weiter aufriss, wenn ein männliches Wesen in der Nähe war. Nur so hatte sie es wahrscheinlich auch zur stellvertretenden Geschäftsführerin in ihrer Agentur geschafft. Oder hatte sie tatsächlich was in der Birne? Nein, das wollte ich auf keinen Fall glauben. Besser gefiel mir das blonde Dummchen als Feindbild. Sonst müsste ich mich jetzt noch mieser fühlen. Noch mieser! Dabei ging das fast gar nicht. Ich brauchte dringend Ablenkung. Sonst würde sie den ganzen Tag und die ganze Nacht mit Grübeln und Selbstbemitleidung vergeuden. Also griff ich zum Telefon.

Das zweite Kapitel gibt es nächste Woche.

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