Das letzte Kind klebt an den Händen

Bei einer nicht zu unterschätzenden Anzahl von Menschen in meinem Alter und mit meinem Familienstand ist das so: Das letzte Kind hat Fell. Eben erst haben Freunde ihre Familie mit einem Vierbeiner erweitert. Ein Ereignis, in etwa gleichbedeutend mit der Geburt ihres Kindes. Und mit den gleichen Aussichten auf die nahe Zukunft: Ausgehen nur noch getrennt, nachts alle paar Stunden aufstehen, Erziehung findet wieder auf intellektuell sehr niedrigem Niveau statt. Statt sich mit dem Nachwuchs über politisch korrekte Songtextwiedergabe, das Für und Wider von Cancel Culture und Genderregeln zu streiten, werden sie zurück ins Krabbelalter katapultiert werden, kurze Imperativsätze wie Nein, nicht den Schuh zerbeißen schreien und in die Babysprache verfallen. Feiniiiiii, komm zu Frauchen!  
Die Bilder von dem kleine Fellball und der glücklichen Neufamilie sind natürlich herzerweichend. ❤️ Und genau wie beim Menschenkind kann ich den ersten Besuch natürlich auch kaum erwarten.

Meine Eltern haben sich auf mein nerviges Einzelkind-Drängen hin auch zu einem kaltschnäuzigen Zweitkind breitschlagen lassen. Es bekam den Namen Coco, schlief, wo es ihm gefiel, gehorchte nicht die Bohne und wurde sechzehn Jahre alt. Sech-zehn. Fragt sich noch jemand, warum meine Kinder keinen Hund bekommen haben, obwohl sie sich natürlich einen wünschten? Ne, ne, ich hab‘s genau gesehen: so ein Tier bleibt länger bei Mutti wohnen als italienische Männer.

Mein letztes Kind hat kein Fell. Es klebt an den Händen und hört auf den Namen Sauerteig. Angefangen hat es aus einer harmlosen Laune heraus. Ich wollte Brot backen. Alle redeten von Sauerteig. Okay, dann aber so richtig, dachte ich, also auch den Sauerteig selbst machen.
Der erste Versuch verschimmelte auf der Fensterbank. Aber ein dringender Kinder-, äh Brotwunsch ließ es mich weiter versuchen. Beim nächsten Mal klappte es und seit ein paar Monaten sind wir glückliche Eltern eines Starters, wie er auf den hunderttausend englischsprachigen Sourdough Insta-Accounts genannte wird. Er mag es kühl und braucht nur wenig Platz. Das wars aber schon mit easy peasy. Der Typ ist ganz schön anspruchsvoll. Regelmäßig gefüttert werden will er, klar. Aber bitte nicht zu viel. Und auf keinen Fall zu wenig. Sonst wird er richtig sauer und fängt an zu müffeln wie ein Teenager.

Bei meinen Kindern wurde nach der anstrengende Säuglingsphase alles einfacher, als sie endlich sprechen konnten. Dahin kommt man als Sauerteigmama leider nie, weshalb er sein Leben lang unberechenbar bleibt. Den einen Tag macht er brav Bäuerchen und duftet frisch und appetitlich, den nächsten beleidigt er mich passiv-aggressiv, indem er als fahlgrauer, klebriger Blobb aus dem Ofen kommt. Trotzdem mache ich weiter. Wie meine Schwiegermutter, die ihre inzwischen längst erwachsenen Söhne immer noch und unermüdlich zu erziehen versucht. Wir beide geben die Hoffnung nicht auf, dass wir irgendwann das perfekte Ergebnis in den Händen halten.

Sehet hier einen kleinen Ausschnitt meiner Brotografie:

Ganz nach unten scrollen wird belohnt mit einem extrem professionell produzierten Video, in dem ich dem Sauerteig den letzten Schliff verpasse, bevor er im Gärkorb landet.

Am Ende freue ich mich so, weil mal nix an den Händen kleben blieb. Am Titel dieses Beitrag ändert sich dadurch nichts.

Für „Film ab“ bitte noch weiter runter scrollen

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